Bündisch und Scoutistisch: Unterschied zwischen den Versionen
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''Der Reichsführer SS und Chef der Dt. Polizei im Reichsministerium des Innern hat durch eine im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger vom 20. Juli 1938 veröffentlichte Verordnung das '''Verbot der bündischen Jugend''' neu gefaßt. Hiernach ist die Fortführung der bündischen Jugend ([[Deutsche Freischar]], Freischar junge Nation, [[Großdeutscher Bund]], [[dj.1.11|Deutsche Jungenschaft vom 1.11.]], Deutsche Jungentrucht, Oesterreichisches Jungenkorps, Graues Korps, [[Nerother Wandervogel|Nerother Bund]], [[Nerother Wandervogel|Bund zur Errichtung der rheinischen Jugendburg]], [[Reichsschaft deutscher Pfadfinder]], [[Deutscher Pfadfinderbund]], [[Österreichischer Pfadfinderbund|Oesterreichischer Pfadfinderbund]], Christliche Pfadfinderschaft, Deutsche Pfadfinderschaft, St. Georg-Pfadfinderkorps, Quickborn-Jungenschaft, Deutschmeister-Jungenschaft, Stromkreis, Grauer Orden, Freischar Schill und Eidgenossen, Bündischer Selbstschutz, Navajo usw.) untersagt.'' | ''Der Reichsführer SS und Chef der Dt. Polizei im Reichsministerium des Innern hat durch eine im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger vom 20. Juli 1938 veröffentlichte Verordnung das '''Verbot der bündischen Jugend''' neu gefaßt. Hiernach ist die Fortführung der bündischen Jugend ([[Deutsche Freischar]], Freischar junge Nation, [[Großdeutscher Bund]], [[dj.1.11|Deutsche Jungenschaft vom 1.11.]], Deutsche Jungentrucht, Oesterreichisches Jungenkorps, Graues Korps, [[Nerother Wandervogel|Nerother Bund]], [[Nerother Wandervogel|Bund zur Errichtung der rheinischen Jugendburg]], [[Reichsschaft deutscher Pfadfinder]], [[Deutscher Pfadfinderbund]], [[Österreichischer Pfadfinderbund|Oesterreichischer Pfadfinderbund]], Christliche Pfadfinderschaft, Deutsche Pfadfinderschaft, St. Georg-Pfadfinderkorps, Quickborn-Jungenschaft, Deutschmeister-Jungenschaft, Stromkreis, Grauer Orden, Freischar Schill und Eidgenossen, Bündischer Selbstschutz, Navajo usw.) untersagt.'' | ||
''Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer früheren bündischen Vereinigung aufrecht zu erhalten oder eine neue bündische Vereinigung zu bilden, insbesondere wer auf andere Personen durch Weitergeben von bündischen Schrifttums, [[Liederbuch|Liederbüchern]], u. dergl. in diesem Sinne einwirkt oder wer bündische Bestrebungen in anderer Weise unterstützt, wird gemäß §4 der Verordnung des Reichspräsidenten von Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I, Seite 83) bestraft.'' | ''Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer früheren bündischen Vereinigung aufrecht zu erhalten oder eine neue bündische Vereinigung zu bilden, insbesondere wer auf andere Personen durch Weitergeben von bündischen Schrifttums, [[Liederbuch|Liederbüchern]], u. dergl. in diesem Sinne einwirkt oder wer bündische Bestrebungen in anderer Weise unterstützt, wird gemäß §4 der Verordnung des Reichspräsidenten von Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I, Seite 83) bestraft.'' | ||
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+ | ===Der Wandervogel und die Bündischen=== | ||
+ | Fünfzig Jahre deutsche Jugendbewegung / Von H. Schierer | ||
+ | (aus: DIE ZEIT, 8. 9. 1949, Nr. 36) | ||
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+ | Vor fünfzig Jahren unternahm der Schüler-Stenographenverein zu Berlin-Steglitz unter Führung einiger. Primaner, darunter der Schöpfer des „Wandervogel'', Karl Fischer, eine Fahrt in den Böhmerwald. Das Erlebnis dieser Fahrt führte zur Gründung des "Wandervogel", der zum Ausgangspunkt der deutschen Jugendbewegung wurde. Ein halbes Jahrhundert liegt in diesen Wochen zwischen jenem Aufbruch der Jungen und den Jugendzeltlagern, denen wir heute wieder in allen deutschen Landschaften begegnen. Die ersten Formen des Jugendlebens zu Beginn unseres Jahrhunderts lehnten sich an die Gebräuche der mittelalterlichen Fahrenden Schüler und der Landstreicher an. „Fahrende Scholaren" hieß der von Karl Fischer nach der Böhmerwaldfahrt gegründete Bund. Ihre Sprache war der Kundenjargon der Landstraßen. Wenn man abends vom "Tippeln" oder "Klotzen" müde war, suchte man sich eine "Bleibe", um zu "pennen". Kundenkonvent hieß ihre Zusammenkunft. Mit Protesten und Verboten begleiteten die Steglitzer Bürger diese Entwicklung. Pfarrer, Lehrer und Professoren von Ruf, die in der jungen Bewegung die Träume ihrer eigenen Jugend verwirklicht sahen, stellten sich als „Eufrat" (Eltern und Freundesrat) schützend vor sie und schoben die Bedenken der Eltern beiseite. | ||
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+ | Der 1901 für die junge Bewegung gefundene Name "Wandervogel" charakterisiert ihr Wesen. Sie hatte keine festen Ziele, sie hatte den Willen zum Schweifen, Schauen, Erleben und Freisein — alle anderen angeblichen Ziele wie Abstinenzlertum, Militarismus und Antimilitarismus, Nationalismus und Internationalismus, Lebensreformer, Nacktkultur, Homosexualität sind ihr später, meist von ihren Gegnern, untergeschoben worden. Die Wandervögel suchten den Ausweg aus der Sackgasse der Zivilisation, aus Lüge und Heuchelei. | ||
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+ | Die ersten Wandervogel-Führer zogen als Studenten in Universitätsstädte, wo sie neue Ortsgruppen gründeten. Die Idee, die sich gegenüber dem ursprünglich rauhen urburschenschaften Pachantentum verfeinert hatte, zog alle Kreise der Jugend an. Die anfängliche Exklusivität, die den Bund auf höhere Schulen beschränkte, fiel. „Der gesamten deutschen Jugend soll der "Wandervogel" zugänglich sein, war 1911 verkündet worden. Und alle Jugendorganisationen der Vereine, Parteien und Konfessionen, legten Wert darauf "zur Jugendbewegung gezählt zu werden. Sie kopierten die Trachten, sangen die vom „Wandervogel'' wiederentdeckten alte Volkslieder, spielten „Klampfe", nannten ihre Heime „Nest", enthielten sich des Tabaks und Alkohols. Dabei waren alle diese Dinge doch nur Äußerlichkeiten, die wenig über das Wesen der Jugend aussagten, die im Grunde ziellos war: „Unser Ziel ist die Mannigfaltigkeit des Lebens. | ||
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+ | Die zehn Jahre zwischen Gründung des "Wandervogel" und dem ersten Weltkrieg brachten Neugründungen von Bünden und Aufspaltungen der alten. Die Gründe hierfür waren kaum prinzipieller Natur, oft nur persönlich oder regional bedingt. Wenn es jedoch um das Grundprinzip der jugendlichen Freiheit ging, herrschte Einigkeit unter den Bünden. Als 1913 die Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig mit Aufmärschen patriotischer Bürgervereine, Militärmusik und lauten Reden der Selbstbeweihräucherung vorbereitet wurde, setzten die Bünde ihr eigenes Fest auf dem Hohen Meißner bei Kassel dagegen, wo sie ihre Einigung mit der Formel einleiteten: "Die freideutsche Jugend will ihr Leben in innerer Wahrhaftigkeit selber gestalten. Für diese Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein." Doch der erste Weltkrieg verhinderte die organisatorische Einigung. Von 12 000 "Wandervogel"- Soldaten fielen 7000, darunter fast die gesamte Führerschaft. | ||
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+ | Die zweite Phase der Jugendbewegung begann in der frühen Nachkriegszeit. Jugendbünde aller Richtungen schossen wie Pilze aus dem Boden, Gruppen "wilder Wandervögel" brachten die Bewegung in Verruf. Einige Wandervogel- und Pfadfinderbünde, die sich, der Meißnerformel getreu, von allen Zweckbestrebungen freimachten, wurden spöttisch die "Bündischen" genannt und von "rechts" und "links" und von den Konfessionen bekämpft. "Den Rechtsstehenden waren sie zu liberal, zu pazifistisch und des Internationalismus verdächtig wegen ihrer Beziehungen zu den Boy-Scouts und anderen ausländischen Jugendorganisationen. Die Linke dagegen tadelte die Bündischen als "bürgerliche Reaktionäre", da der Auslesecharakter der Bünde und ihr geistiges Niveau den Durchschnittsvolksschüler und Arbeiter aus ihren Reihen ausschloß. Sie warfen ihnen ihr zuchtvolles Auftreten und die alten Soldatenweisen ihres Liederschatzes als Militarismus vor. "Trotz der Widerstände eroberte sich die Jugendbewegung Schlüsselstellungen in der Pädagogik, den sozialen Berufen, im Buchhandel und Verlagswesen und in der Jugendpflege. | ||
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+ | 1933 hatte sie der deutschen Jugend aller Richtungen ihren Stempel aufgedrückt. Unter der Drohung ihrer Auflösung durch den Nationalsozialismus schlossen sich die verschiedenen Richtungen zusammen, doch entgingen sie damit nicht ihrem Schicksal. Soweit die Bünde nicht ihre Selbstauflösung vorzogen, wurden sie von der HJ übernommen, doch sie blieben ein Fremdkörper. In periodischen Abständen setzten Verfolgungen der "Bündischen in der Hitlerjugend ein, bis die Jugendbewegung von einst ihr Ende gefunden hatte. | ||
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+ | Doch das war nur ein Ende nach außen: Ohne den Wandervogel und die Bündischen ist heute kein Jugendleben denkbar. Inhalt, Form und Requisiten gehen auf sie zurück. Was die Jugend vor dem ersten Weltkrieg entdeckte und schuf, das hat die Jugend von heute sich zu eigen gemacht; Jugendherbergen, Volkstänze, das Zelten, den unbefangenen Umgang von Jungen und Mädchen und die Begegnungen mit ausländischer Jugend. | ||
===1945 bis heute=== | ===1945 bis heute=== |
Version vom 5. Juni 2008, 10:37 Uhr
Bündisch bezeichnet eine besondere Form des Zusammenlebens in Gruppen oder eben echten Bünden. Der Versuch, diesen Begriff vom Scoutismus zu trennen, gelingt nur auf einer philosophischen Ebene. Das Pfadfinderische beruht auf Kameradschaft und damit auf der Vernunft, das Bündische aber beruht auf der Freundschaft und damit auf der Liebe. Eine Konsequenz daraus lautet, dass Pfadfinder bei mangelnder Emotion für den Kameraden unbeeinflusst bleiben, während sich bündische Gruppen von einem solchen Mitglied trennen; sogar trennen müssen.
Bündische bilden seedukative (gleichgeschlechtliche) Gruppen, die sich in Freundschaft verbunden sind und sich in ihrer Zusammensetzung kaum ändern. Ein Stufenwechsel, wie er bei Pfadfindern üblich ist, ist damit ausgeschlossen. Neu "gekeilte" Mitglieder lernen von den anderen, wobei der Führer meist ein primus inter pares, also der "Erste unter Gleichen" ist. Manche Mitglieder bilden beim Verlassen der Gruppe oft neue Gruppen.
Das alles schließt nicht aus, dass solche bündische Gruppen einen größeren Bund mit gemeinsamen Formen ("Kluft", Liedgut, Traditionen) bilden. Ein solcher Bund neigt dazu, selten wesentlich mehr als 200 Mitglieder zu haben, damit jeder noch jeden kennen kann. Aus der Sicht von Bündischen sind die meisten Pfadfinderbünde keine richtigen Bünde, sondern nur Verbände.
Herkunft
Bündisch sein, ist untrennbar mit dem Begriff der deutschen Jugendbewegung verbunden. Nachdem sich Wandervogel und Pfadfinderbewegung vom - erst durch Kriegsfreiwillige entusiastisch unterstützten - 1. Weltkrieg erholten (sehr viele Führungspersönlichkeiten waren gefallen), begann die so genannte "Bündische Phase" der Jugendbewegung von 1918-1933:
Die bündische Phase (1918-1933)
Den Mitgliedern der Jugendbewegung reichte es nach 1918 nicht mehr, nur ihre Jugend gemeinsam zu verleben. Es bildete sich der Willen, die gesamte Gesellschaft zu verändern: Man stebte nun ritterliche Ideale an, denen jeder Einzelne auch im Erwachsenenalter anhängen sollte. So entstand die Begrifflichkeit eines "Lebensbundes", der nicht mit dem Erwachsenwerden endet, sondern das ganze Leben einbezieht. Viele Bünde sahen das Bestehen eines Lebensbundes als in koedukativen Bünden (die es vorher im Wandervogel schon manchmal gab) schwer verwirklichbar und die Orientierung richtete sich mehr auf eine geschlechtsgetrennte Arbeit.
In der Folge kam es zu einer starken Durchdringung von bündischen und scoutistischen Elementen (siehe unten). Auch bündische Pfadinder sind seitdem keine Seltenheit und die Grenzen verwischten so sehr, dass viele der Meinung waren, dass sie im Prinzip das selbe machten. 1925 kam es mit dem Zusammenschluss eines Pfadfinderbundes und eines Wandervogelbundes zur Gründung des Bund der Wandervögel und Pfadfinder (BdWuP), der sich später Deutsche Freischar nannte. In diesem Bund gelang es verschiedenste Zielsetzungen mit gemeinsamen Formen (Kleidung, Fahrtentechnik, Fahrt, etc.) zu verbinden. Gruppen, die sich diesem Konzept nahe fühlen oder wesentliche Elemente des Bündischen übernommen haben bezeichnen sich seitdem als bündisch.
Gegen 1930 kamen Jungenschaften auf, die wiederum das Verständnis des Lebensbundes ablehnten und eher einem sogenannten "Jugendreich" (einer eher geschlossenen Gegenwelt im Jugendalter) anhingen. Die Jungenschaftbewegung brachte Elemente wie die Kohte, Jurte und Jungenschaftsjacke in die deutsche Jugendbewegung ein.
Die bündische Bewegung erstarb mit den Verboten durch das nationalsozialistische Regime die ab 1933 ausgesprochen wurden; spätestens mit der Aktion Zerschlagung bündischer Reste (etwa 1936), im Rahmen derer z.B. Robert Oelbermann inhaftiert wurde. Die Einzelnen blieben aber oft ihren Idealen im Verborgenen treu.
Verbot der Bündischen Jugend
Zeitungsartikel aus den "Leipziger Neuesten Nachrichten" Nr. 209 vom 28. 7.1939:
Das Verbot der bündischen Jugend Der Reichsführer SS und Chef der Dt. Polizei im Reichsministerium des Innern hat durch eine im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger vom 20. Juli 1938 veröffentlichte Verordnung das Verbot der bündischen Jugend neu gefaßt. Hiernach ist die Fortführung der bündischen Jugend (Deutsche Freischar, Freischar junge Nation, Großdeutscher Bund, Deutsche Jungenschaft vom 1.11., Deutsche Jungentrucht, Oesterreichisches Jungenkorps, Graues Korps, Nerother Bund, Bund zur Errichtung der rheinischen Jugendburg, Reichsschaft deutscher Pfadfinder, Deutscher Pfadfinderbund, Oesterreichischer Pfadfinderbund, Christliche Pfadfinderschaft, Deutsche Pfadfinderschaft, St. Georg-Pfadfinderkorps, Quickborn-Jungenschaft, Deutschmeister-Jungenschaft, Stromkreis, Grauer Orden, Freischar Schill und Eidgenossen, Bündischer Selbstschutz, Navajo usw.) untersagt. Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer früheren bündischen Vereinigung aufrecht zu erhalten oder eine neue bündische Vereinigung zu bilden, insbesondere wer auf andere Personen durch Weitergeben von bündischen Schrifttums, Liederbüchern, u. dergl. in diesem Sinne einwirkt oder wer bündische Bestrebungen in anderer Weise unterstützt, wird gemäß §4 der Verordnung des Reichspräsidenten von Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I, Seite 83) bestraft.
Der Wandervogel und die Bündischen
Fünfzig Jahre deutsche Jugendbewegung / Von H. Schierer (aus: DIE ZEIT, 8. 9. 1949, Nr. 36)
Vor fünfzig Jahren unternahm der Schüler-Stenographenverein zu Berlin-Steglitz unter Führung einiger. Primaner, darunter der Schöpfer des „Wandervogel, Karl Fischer, eine Fahrt in den Böhmerwald. Das Erlebnis dieser Fahrt führte zur Gründung des "Wandervogel", der zum Ausgangspunkt der deutschen Jugendbewegung wurde. Ein halbes Jahrhundert liegt in diesen Wochen zwischen jenem Aufbruch der Jungen und den Jugendzeltlagern, denen wir heute wieder in allen deutschen Landschaften begegnen. Die ersten Formen des Jugendlebens zu Beginn unseres Jahrhunderts lehnten sich an die Gebräuche der mittelalterlichen Fahrenden Schüler und der Landstreicher an. „Fahrende Scholaren" hieß der von Karl Fischer nach der Böhmerwaldfahrt gegründete Bund. Ihre Sprache war der Kundenjargon der Landstraßen. Wenn man abends vom "Tippeln" oder "Klotzen" müde war, suchte man sich eine "Bleibe", um zu "pennen". Kundenkonvent hieß ihre Zusammenkunft. Mit Protesten und Verboten begleiteten die Steglitzer Bürger diese Entwicklung. Pfarrer, Lehrer und Professoren von Ruf, die in der jungen Bewegung die Träume ihrer eigenen Jugend verwirklicht sahen, stellten sich als „Eufrat" (Eltern und Freundesrat) schützend vor sie und schoben die Bedenken der Eltern beiseite.
Der 1901 für die junge Bewegung gefundene Name "Wandervogel" charakterisiert ihr Wesen. Sie hatte keine festen Ziele, sie hatte den Willen zum Schweifen, Schauen, Erleben und Freisein — alle anderen angeblichen Ziele wie Abstinenzlertum, Militarismus und Antimilitarismus, Nationalismus und Internationalismus, Lebensreformer, Nacktkultur, Homosexualität sind ihr später, meist von ihren Gegnern, untergeschoben worden. Die Wandervögel suchten den Ausweg aus der Sackgasse der Zivilisation, aus Lüge und Heuchelei.
Die ersten Wandervogel-Führer zogen als Studenten in Universitätsstädte, wo sie neue Ortsgruppen gründeten. Die Idee, die sich gegenüber dem ursprünglich rauhen urburschenschaften Pachantentum verfeinert hatte, zog alle Kreise der Jugend an. Die anfängliche Exklusivität, die den Bund auf höhere Schulen beschränkte, fiel. „Der gesamten deutschen Jugend soll der "Wandervogel" zugänglich sein, war 1911 verkündet worden. Und alle Jugendorganisationen der Vereine, Parteien und Konfessionen, legten Wert darauf "zur Jugendbewegung gezählt zu werden. Sie kopierten die Trachten, sangen die vom „Wandervogel wiederentdeckten alte Volkslieder, spielten „Klampfe", nannten ihre Heime „Nest", enthielten sich des Tabaks und Alkohols. Dabei waren alle diese Dinge doch nur Äußerlichkeiten, die wenig über das Wesen der Jugend aussagten, die im Grunde ziellos war: „Unser Ziel ist die Mannigfaltigkeit des Lebens.
Die zehn Jahre zwischen Gründung des "Wandervogel" und dem ersten Weltkrieg brachten Neugründungen von Bünden und Aufspaltungen der alten. Die Gründe hierfür waren kaum prinzipieller Natur, oft nur persönlich oder regional bedingt. Wenn es jedoch um das Grundprinzip der jugendlichen Freiheit ging, herrschte Einigkeit unter den Bünden. Als 1913 die Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig mit Aufmärschen patriotischer Bürgervereine, Militärmusik und lauten Reden der Selbstbeweihräucherung vorbereitet wurde, setzten die Bünde ihr eigenes Fest auf dem Hohen Meißner bei Kassel dagegen, wo sie ihre Einigung mit der Formel einleiteten: "Die freideutsche Jugend will ihr Leben in innerer Wahrhaftigkeit selber gestalten. Für diese Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein." Doch der erste Weltkrieg verhinderte die organisatorische Einigung. Von 12 000 "Wandervogel"- Soldaten fielen 7000, darunter fast die gesamte Führerschaft.
Die zweite Phase der Jugendbewegung begann in der frühen Nachkriegszeit. Jugendbünde aller Richtungen schossen wie Pilze aus dem Boden, Gruppen "wilder Wandervögel" brachten die Bewegung in Verruf. Einige Wandervogel- und Pfadfinderbünde, die sich, der Meißnerformel getreu, von allen Zweckbestrebungen freimachten, wurden spöttisch die "Bündischen" genannt und von "rechts" und "links" und von den Konfessionen bekämpft. "Den Rechtsstehenden waren sie zu liberal, zu pazifistisch und des Internationalismus verdächtig wegen ihrer Beziehungen zu den Boy-Scouts und anderen ausländischen Jugendorganisationen. Die Linke dagegen tadelte die Bündischen als "bürgerliche Reaktionäre", da der Auslesecharakter der Bünde und ihr geistiges Niveau den Durchschnittsvolksschüler und Arbeiter aus ihren Reihen ausschloß. Sie warfen ihnen ihr zuchtvolles Auftreten und die alten Soldatenweisen ihres Liederschatzes als Militarismus vor. "Trotz der Widerstände eroberte sich die Jugendbewegung Schlüsselstellungen in der Pädagogik, den sozialen Berufen, im Buchhandel und Verlagswesen und in der Jugendpflege.
1933 hatte sie der deutschen Jugend aller Richtungen ihren Stempel aufgedrückt. Unter der Drohung ihrer Auflösung durch den Nationalsozialismus schlossen sich die verschiedenen Richtungen zusammen, doch entgingen sie damit nicht ihrem Schicksal. Soweit die Bünde nicht ihre Selbstauflösung vorzogen, wurden sie von der HJ übernommen, doch sie blieben ein Fremdkörper. In periodischen Abständen setzten Verfolgungen der "Bündischen in der Hitlerjugend ein, bis die Jugendbewegung von einst ihr Ende gefunden hatte.
Doch das war nur ein Ende nach außen: Ohne den Wandervogel und die Bündischen ist heute kein Jugendleben denkbar. Inhalt, Form und Requisiten gehen auf sie zurück. Was die Jugend vor dem ersten Weltkrieg entdeckte und schuf, das hat die Jugend von heute sich zu eigen gemacht; Jugendherbergen, Volkstänze, das Zelten, den unbefangenen Umgang von Jungen und Mädchen und die Begegnungen mit ausländischer Jugend.
1945 bis heute
Nach dem 2. Weltkrieg wurden bündisch geprägte Wandervogel und Pfadfinderbünde wieder- oder neugegründet (Beispielsweise der Nerother Wandervogel oder die CPD). Das Bündische erreichte aber nicht mehr die in der Zeit von 1918-1933 bestehende prägende Ausstrahlung auf die Gesamtheit der deutschsprachige Jugend.
Die viele bündische Gruppen sehen - früher wie heute - eine untereinander verbindende Gemeinsamkeit in der Meißner-Formel.
Bündisch oder Scoutistisch?
Im deutschsprachigen Raum kann man nicht mehr zwischen Verbänden trennen, die eine pure Herkunft aus der deutschen Jugendbewegung haben, und Verbänden, die den Ideen Baden-Powells in "reiner" Form (sogenannter Scoutismus) anhängen. Beide Richtungen und Ideenwelten haben sich gegenseitig befruchtet und durchdrungen. Sieht man "bündisch" und "scoutistisch" als gegenüberliegende Endpunkte einer Skala, so kann man bei vielen Verbänden eine gewisse Tendenz benennen. Sie lassen sich als "bündisch", "eher bündisch", "eher scoutistisch" oder "scoutistisch" einordnen. Um die Unterschiede beider Ausrichtungen zu verdeutlichen, sind hier den "bündischen" Elementen "scoutistische" Elemente gegenübergestellt:
Bündische Elemente
Die nachfolgenden Elemente, Formen und Äußerlichkeiten charakterisieren bündische Gruppen. Natürlich kommt es zu unterschiedlichen Gewichtungen einzelner Elemente.
- Bündisch-Sein als Selbstzweck zur individuellen Persönlichkeitsbildung.
- Die Basis ist Freundschaft.
- Die Kleidung ist bewußt rustikal: Lederhose, kariertes Hemd, (oft achteckiges) Barett: Sie repräsentiert das Aufbegehren gegen Strenge und Enge.
- Traditionelle Technik und Ausrüstung, z.B. Verwendung von Schwarzzelten und Affen.
- Aktionsschwerpunkt (Inhalt) ist die Fahrt. Erst danach kommen Tippel und Lager.
- Ausrichtung auf eine Gemeinschaft/Verbundenheit für das ganze Lebensalter (Lebensbund).
- Beginnt erst im Jugendalter (ca. ab 10 Jahren).
- kleine geschlechtshomogene "Horten" oder "Fähnlein" die gemeinsam "alt" werden.
- Prinzip "Jugend führt Jugend": der Gruppenführer, der primus inter pares ist oft nur wenig älter als die Gruppenmitglieder.
- Romantischer, musischer Schwerpunkt (bündische Liedschöpfer).
- Ausrichtung an der Meißner-Formel.
Scoutistische Elemente
Die nachfolgenden Elemente, Formen und Äußerlichkeiten charakterisieren scoutistische Gruppen. Natürlich kommt es zu unterschiedlichen Gewichtungen einzelner Elemente.
- Die Pfadfinderei ist eine Erziehungsmethode.
- Die Basis ist Kameradschaft.
- Die Kleidung ist die Kluft. Sie repräsentiert Ordnung, Homogenität und überbrückt Klassen- sowie Standesunterschiede.
- Pfadfinder entwickeln und adaptieren auf die Bedürfnisse abgestimmte Techniken, z.B. Verwendung von Weißzelten oder Iglus
- Aktionsschwerpunkt ist das Lager. Erst danach kommen Hike und Fahrt
- Ausrichtung auf Gruppen mit Stufenwechsel, danach scheiden die Mitglieder aus oder finden sich in speziellen Gruppen (Sippen) für Ältere.
- Pfadfinderisches wird als Erziehungsmethode für Kinder (ca. ab 7 Jahren) und Jugendliche eingesetzt.
- Wechsel zwischen Klein- und Großgruppe.In Deutschland sind die Gruppen in manchen Bünden koedukativ. Stufenwechsel, älter werdender Mitglieder in eine neue, ältere Gruppe.
- Junge erwachsene erziehen Kinder und Jugendliche zur Selbstständigkeit.
- Schwerpunkt liegt in der jeweiligen Orientierung (z.B. Religion, Seefahrerei).
- Ausrichtung am Pfadfindergesetz.
Konsequenz
Bündisch bezeichnet eine besondere Form des Zusammenlebens in einer Gruppe, bei der wesentliche, als bündisch geltende Elemente vereint sind. Die historischen Wurzeln liegen in der Gründung des BdWuP und der Scoutismus kann davon nur in reinster Form abgegrenzt werden.