Franz Paul Wimmer

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Studienrat Franz Paul Wimmer (1878-1966) war einer der ersten Feldmeister Deutschlands.

Familie

Sein Vater Otto Wimmer stammte aus Gottsdorf bei Passau aus einer niederbayrischen Dorf-Lehrerdynastie seit Ende des 18. Jahrhunderts. Er war beamteter Jurist im bayerischen Finanzdienst, zunächst als Leiter des Rentamts in Vohenstrauß in der Oberpfalz, wo Franz Paul zur Welt kam, dann am Finanzministerium in München. Franz Paul Wimmer verbrachte seine Gymnasialzeit in Regensburg im Internat. Sein Großonkel Rudolf Wimmer sen. war berühmter kaiserlicher Hofmaler. Während seiner ersten Jahre in München wohnte er bis 1912 in dessen herrschaftlicher Wohnung an der Isar zur Untermiete. Sein Vater starb 1904. Er unterstütze seitdem seine Mutter finanziell. 1917 lernte er als Soldat im Ersten Weltkrieg im Lazarett in Frankreich seine spätere Frau Jeanne / Johanna Rosalie kennen, die dort als Krankenschwester arbeitete. 1918 kam sie mit ihm auf abenteuerliche Weise und gegen ihre Familie nach München und sie heirateten. Sie hatten 2 Kinder, Paul und Franziska. Paul wurde Mediziner, arbeitete bei dem Münchner Pharmakonzern Togal und starb Anfang der 60er Jahre an den Spätfolgen seiner Kriegsverwundung in München. Sein Sohn Carolus wanderte in den 60er Jahren nach dem Abitur am Regensburger Internat seines Großvaters in das Heimatland seiner Mutter, Venezuela, aus. Franziska wurde Fremdsprachenkorrespondentin, heiratete einen Diplomaten, mit dem sie lange in Kanada lebte, und starb Mitte der 60er Jahre kinderlos an Krebs am Starnberger See bei München. Johanna Rosalie starb 1984 in Gottsdorf. Carolus Wimmer ist heute Staatssekretär in der Regierung Hugo Chavez in Venezuela und kam 2009 mit seinem Sohn Daniel Wimmer zur Feier Pfadfinden100 nach Gottsdorf, wo er in seiner Kindheit die Ferien beim Großvater verbracht hatte.

Ausbildung und Beruf

Er studierte Mathematik und Naturwissenschaften in Würzburg, Erlangen und München. Nach dem Studium wirkte er ab 1904 als Gymnasiallehrer am "Alten Realgymnasiums" in München, dem heutigen "Oskar von Miller Gymnasium". 1922 wechselte er an das Rupprecht-Gymnasium München, 1932 wurde er Direktor des Maria-Theresia-Gymnasiums in München. 1938 trat er aus beruflichen Zwängen mit seiner Frau der NSDAP bei. Auf Grund einer anonymen Denunziation aus Kreises des NS-Lehrerbundes, dessen Wirken er an seiner Schule aktiv entgegenarbeitete, wurde er 1941, 5 Jahre vor seiner Pensionierung, in die damals bayerische Pfalz nach Mannheim strafversetzt. Als Schulleiter zog er dort eine unangemessen schwere Schulaufgabe eines Kollegen zurück, was diesen veranlasste, ihn nach der Befreiung 1945 bei der französichen Besatzungsbehörde als "üblen Nazionalsozialisten" zu denunzieren. Er wurde ohne Pensionsanspruch vom Dienst suspendiert und zog mit seiner französischen Frau Jeanne Rosalie und Tochter Franziska nach Gottsdorf bei Passau, den Geburtsort seines Vaters. Sein Sohn Paul arbeitete als Mediziner bei einem Münchner Pharmakonzern. Von Gottsdorf aus, wo er ohne Einkommen in größter Armut lebte, betrieb er bei der Spruchkammer München seine Rehabilitierung, die ihn zunächst nach den Mannheimer Akten als "belastet" einstufte, bald aber die Denunziation aufdeckte. Wegen seiner NSPAP-Mitgliedschaft ab Mai 1938 wurde er als "Mitläufer" eingestuft und erhielt fortan seine Pension auch rückwirkend ausgezahlt.

Der von Wimmer gegründete 1. Münchner Pfadfinderzug (1. MPZ) setzte sich seiner beruflichen Laufbahn entsprechend bis 1932 hauptsächlich aus Schülern des Alten Realgymnasiums und des Rupprecht-Gymnasiums zusammen. Sein ehemaliger Schüler am Rupprecht-Gymnasium Rupert Gerngroß, Pfadfinder und Stammesführer des 1-MPZ in den späten 20er Jahren, initiierte als Offizier in der Dolmetscher-Kompanie der Wehrmacht in München im Frühjahr 1945 mit anderen Mitgliedern des 1. MPZ und seinen Dolmetschern die "Freiheitsaktion Bayern", rief zum bayernweiten Aufstand gegen das NS-Regime auf und leitete diesen in München. Ziel war, den "Nero-Befehl" der SS (Zerstörung der Brücken und Infrastruktur vor den einmaschierenden US-Truppen) zu verhindern, die NS-Repräsentanten zu verhaften ("Fasanenjagd") und den Amerikanern Bayern kampflos zu übergeben. Der Aufstand wurde von der SS nach anfänglichen Erfolgen blutig niedergeschlagen, band aber deren Kräfte so sehr, dass der "Nero-Befehl" nicht umgesetzt und Bayern weitestgehend kampflos von den US-Truppen besetzt werden konnte. Zu Ehren dieser Freiheitsaktion wurde der Feilitzschplatz in München-Schwabing in "Münchner Freiheit" umbenannt. Das Alte Realgymnasium liegt nur einen Häuserblock von diesem Platz entfernt.

Pfadfinder

Im Sommer 1909 lasen Schüler des "Alten Realgymnasiums" in München Das Pfadfinderbuch von Alexander Lion. In der Folge baten sie nach den Sommerferien im September 1909 ihren Lehrer Studienrat Franz Paul Wimmer mit ihnen nach dem Buch zu arbeiten und eine eigenständige Pfadfindergruppe im Sinne des "Verein Jugendsport in Wald und Feld (ab 1911 "Deutscher Pfadfinderverband")" zu gründen. Am 25.09.1909 trafen sie sich mit Wimmer zur ersten Gruppenstunde. Die Gruppe wurde nach ihrem explosionsartigen Wachstum Ostern 1910 geteilt und Wimmers Gruppe erhielt den Namen "Erster Münchner Pfadfinderzug". Er ist damit nachweislich die erste Pfadfindergruppe Deutschlands und Wimmer der erste Stammesführer ("Feldmeister" im damaligen Sprachgebrauch). Zuvor war Pfadfinden nur als methodische Bereicherung bestehender kirchlicher und sportlicher Jugendgruppen und des Wandervogels gedacht, nicht als eigenständige Jugendorganisation. In diesem Sinne war der Verein Jugendsport etc. vor 1911 auch nur ein Förderverein Erwachsener für die Verbreitung dieser neuen englischen pädagogischen Methode, kein Pfadfinderbund im heutigen Sinne. Seine Versuche, eigene "Experimentiergruppen" von oben zu gründen, scheiterten alle schon im Ansatz. Die erfolgreichen Gründungen von weiteren Pfadfinder-Gruppen noch im Herbst 1909 in Metz, Bamberg und Breslau erhielten ihren Erfolg und ihr Profil erst im Nachhinein aus der schnell bekannten Münchner Verselbständigung "von unten" durch Wimmer und seine Schüler. In den Wochen zuvor waren auch sie nur erfolglose Versuche von "oben" gewesen. Wimmer und seine Schüler "erfanden" Pfadfinden erst als eigenständige Jugendbewegung. In Großbritannien verlief die Entwicklung gleichartig. Auch BiPi dachte zunächst nicht an eine eigenständige Jugendorganisation, sondern nur an eine methodische Bereicherung gegebener Organisationen der Jugendarbeit. Die Jugend schuf sich auch dort ihr Pfadfinden auf Anregung durch "scouting for boys" selbst. Die Organisation kam dann, in Großbritannien wie auch in Deutschland, erst im Nachhinein schrittweise innerhalb von zwei Jahren hinzu.

Am 25.9.1909 entstand also der 1.Münchner Pfadfinderzug (1.MPZ) als die erste deutsche Pfadfindergruppe. Der 1.Münchner Pfadfinderzug wurde bis 1914 von Franz Paul Wimmer geführt. Er schloss sich 1912 dem Bayerischen Wehrkraftverein, dem Dachverband der bürgerlischen Jugendorganisationen in Bayern, an verließ diesen 1918 sofort mit Ausrufung des Freistaates Bayern wegen Unvereinbarkeit der Ziele und gründete den Pfadfinderbund Bayern. 1919 nahm Wimmer mit weiteren Mitgliedern des 1. Münchner Pfadfinderzuges als Teilnehmer und Redner am "Ersten Deutschen Pfadfindertag" auf Schloss Prunn zusammen mit den österreichischen Pfadfinderführern teil und kritisierte mit diesen und den Münchner Pfadfinderführern die völkische Umorientierung der Regensburger Pfadfinder durch Habbel und Voggenreiter, die den "Aufbruch" der Neupfadfinder als Hinwendung zu Wandervogel und dessen chauvinistisch-völkischer Ideologie markierte. Das Prunner Gelöbnis ist das damalige Wiener Pfadfinderversprechen, das von den Wiener Führern mit Unterstützung der Münchner als Minimalergebnis der Tagung ausdrücklich gegen die Meißner Formel und gegen den völkischen Neuaufbruch der Regensburger durchgesetzt wurde. Aus dieser völkischen Geisteshaltung heraus pöbelte z.B. der spätere Berliner Neupfadfinder und evangelische Pastor Martin Voelkel 1921 Alexander Lion auf der Naumburger Führertagung heftigst antisemitisch an, was Lion mit seinem Austritt beantwortete. Später schloss sich der Pfadfinderbund Bayern, wie auch Alexander Lion, der rebubliktreuen und international arbeitenden Reichsschaft Deutscher Pfadfinder an, die mit WOSM in Kontakt stand und 1932 de jure als dessen deutscher Vertreter anerkannt wurde. Der offiziellen Aufnahme im August 1933 am Jamboree in Gödöllö/Ungarn kam die Machtergreifung Hitlers zuvor. Bündische Formen wie die Stammeserziehung nach Hargrave (damals noch R/R-Commissioner bei WOSM) und später Kohten und Jujas von der dj1.11 wurden auch im Pfadfinderbund Bayern schnell übernommen. Im August 1933 wurde der Reichsschaft die eigene aktive Arbeit untersagt und ihre Gruppen geschlossen ins Jungvolk der HJ überführt. Viele andere ehemalige Pfadfinder und Pfadfindergruppen schlossen sich daraufhin im Rahmen des Jungvolkes der Reichsschaft formal an, um als "U-Boote" im Ozean der HJ auch weiter für sich bestehen zu können. Als mitgliedermäßig effektiv "ausgehöhlte" und in der Führung an den Schaltstellen übernommene reine Organisation bestand die Reichsschaft unter HJ-Führung bis 1934 formal weiter, da die HJ über sie sich die Anerkennung von WOSM als Pfadfinderorganisation zu erschleichen versuchte. Als dies scheiterte, wurde die Reichsschaft sofort aufgelöst. Im Jungvolk konnten sich vereinzelt Pfadfindergruppen geschlossen noch bis 1938 halten, der 1. MPZ durch glückliche lokale Zufälle sogar bis ins Frühjahr 1945. Im Widerstand der "Freiheitsaktion Bayern" fanden sich im April 1945 Mitglieder des 1.MPZ wieder zusammen. Wimmer zog sich im Sommer 1933 aus der Pfadfinderarbeit zurück und fand erst nach 1945 durch den seit 1909 befreundeten Alexander Lion wieder zu ihr zurück.

Er blieb dem Pfadfinden dann bis zum Tode verbunden und war bei den jährliche Traditionstreffen des 1.Münchner Pfadfinderzug immer dabei. Der Kontakt mit Alexander Lion war bis zu dessen Tod 1962 sehr eng. Paul Wimmer übergab dem Traditionsstamm Steinadler München eine Signaltrompete und ein Banner. Der Traditionsstamm vertrat bei Wimmers Beerdigung die Pfadfinderjugend.

Er starb 1966 und wurde seinem letzten Willen entsprechend auf dem Friedhof der Gemeinde Gottsdorf beigesetzt.

Veröffentlichungen

  • „Praxis der Makro- und Mikroprojektion für Lehrzwecke“(1911)


Erinnerungsfeiern 100 Jahre Pfadfinder in Bayern und Deutschland 1909-2009

9.Mai 2009 Gedenkfeiern am Grab von Franz Paul Wimmer in Gottsdorf bei Passau und am Grab von Alexander Lion in Fischach bei Augsburg. Eine Gedenkplatte am Grab des Studienrats wurde angebracht. Sie erinnert an seine Bedeutung für die deutsche Pfadfinderbewegung. Gastgeber war der DPSG Stamm Untergrießbach. Vertreten waren DPSG, BdP, PSG,VDAPG und Vertreter von Politik, Gesellschaft und Presse aus der Region.

25.September 2009 Austellung im Landesamt für Finanzen, dem früheren Alten Realgymnasiums und Spielefest im "Oskar von Miller Gymnasium". Gedenktafeln in Erinnerung an Franz Paul Wimmer und den 1.Münchner Pfadfinderzug sollen angebracht werden.

Die Erinnerungsfeiern werden von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Ringverbände in Bayern und des VDAPG organisiert.

Literatur

Scouting 1/09: 100 Jahre Pfadfinder in Deutschland, S.40-42
Scouting 1/09: "Pfadfinden 100" Interview mit Hanns Ortlieb, S.43-46
Scouting 2/09: "Pfadfinden 100 in Deutschland-Geburtstagsfest in Gottsdorf", S.38-39

Weblinks